Dipl Biol. Peter Ulrich Zanger
6. Mai 2019
Die RAUE NELKE Dianthus armeria, eine in Deutschland regional stark gefährdete Wild-Nelkenart im BOTANISCHEN GARTEN DES CID INSTITUTES
Dipl Biol. Peter Ulrich Zanger
25. Juni 2018
Seit dem 15ten Jahrhundert (1410 / 1532) in Europa erwähnt und beschrieben, ist die Kronen-Lichtnelke Silene coronaria aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet zwischen Süd-Ost-Europa und Turkestan mittlerweile auch zu einer im heimischen Florengebiet wenig bekannten und eher selten auftretenden Wild- und Gartenpflanze geworden. Umrankt vom religiösen Mystizismus, sie wurde ursprünglich als das "Christusauge" und als "Marienpflanze" bezeichnet, wobei ihr heilende Wirkung zugeschrieben ist, findet man sie heute insbesondere in Bauern-, Kloster-, Kräuter- und Medizinalpflanzengärten und Botanischen Anlagen, von wo aus ihr bisweilen eine gewisse "Auswilderung" gelingt.
Die immergrüne, rosettenbildende Pflanze ist winterhart und zwei-jährig, wobei sie über dicht an der Erdoberfläche befindliche Vermehrungsknospen verfügt (Hemikryptophyt), was ihre Tendenz bestärkt, sich an ihrem Wuchsort andauernd auszubreiten, so dass sie zur mehrjährigen Horstbildung neigt. Zweifellos zieht sie durch ihr Aussehen beständige Aufmerksamkeit auf sich und verkörpert insbesondere durch ihre wollig behaarten, olivgrünen Blätter und Stengel und ihre intensiv dunkel-lila bis karmesin-rot gefärbten Blüten ein Symbol der inneren Ruhe, ohne dass dabei ihr Erscheinungsbild aber aufdringlich wäre. Die Kronen-Lichtnelke bevorzugt trockene und nicht allzu nährstoffreiche Standorte und wurde vermutlich von südosteuropäischen Immigranten während der 1980iger Jahre in den heutigen Botanischen Garten des CID Institutes gebracht.
Insgesamt ist ihre populäre Etymologie vielfältig, so dass eine Deutung ihrer Namensgebung in unterschiedliche Richtungen führt. Neben KRONEN-LICHTNELKE wird sie im deutschsprachigen Raum auch als Kranzlichtnelke, Lichtnelke, Vexier-Nelke (vexieren = hänseln, necken) oder Samt-Nelke bezeichnet. Im Spanischen kennt man sie als Agrostema, Neguillón (schwarzer Junge) oder Clavel lanudo (wollige Nelke). Im Französischen ist ihr Name Coquelourde des Jardins, was übersetzt etwa "schwere Schale der Gärten" bedeuten mag. Die Übersetzung osteuropäischer Trivialnamen deutet darauf hin, dass aus der Blume Kränze bzw. Kronen als Haarschmuck geflochten wurden. Im Serbokroatischen nennt man sie "Kalata-Puppe" während die englischen Bezeichnungen "Rose campion", "Dusty Miller", "Mullein-Pink" und "Bloody William" eher andere Bedeutungswelten inspirieren.
Ihre Blütezeit reicht von Juni bis August-September. Farbton und Zeichnung der Blüten variieren dabei an einzelnen Staudenpflanzen.
26. Juni 2021
Dipl. Biol. Peter Zanger
Erblickt man Ihre Blüten, so weiss man, dass man sich im Wald verirrt hat. So zumindestens beschreibt der deutsche Volksglaube eine Pflanze, die "in schattigen, dunklen und feuchten Wäldern entlegene Stellen bevorzugt". Im heutigen Botanischen Garten des CID Institutes trifft diese ökobotanische Charakterisierung sogar zu. Im Schatten der niemals sonnenbeschienenen Nordseite des CID Institutsgebäudes, versteckt zwischen grossen Farnwedeln, findet wohl niemand die zarten Blütenrispen der möglicherweise wichtigsten aber zugleich auch unauffälligsten Pflanze, die sich noch zu Lebzeiten der Gartengründerin hier neu angesiedelt haben muss.
Ob Circaea lutetiana das "Kraut Grosser Hexen" ist, oder ob dieser deutsche Pflanzen-Name zur Unterscheidung von anderen, kleinwüchsigeren Hexenkräutern gewählt ist - je nach Standort kann diese Art eine Triebspitzenhöhe von bis zu 60 Zentimetern erreichen - wird auch auf den zweiten Blick hin nicht deutlich. Doch "verirrt im Walde", zumindestens im eigentlichen Sinne dieses Begriffes, hat man sich an ihrem hiesigen Wuchsort eigentlich noch nicht, denn beim Blick zurück zum Eingang des Gartens befindet man sich nur wenige Schritte abseits der Hauseingangstüre.
Nimmt man sich aber Zeit und Musse, die Pflanze aus nächster Nähe in Ruhe zu betrachten, so verzaubert tatsächlich der Anblick ihrer zarten Blüten denjenigen, der sich von ihr in ihren Bann ziehen lässt. Somit trägt sie ihren Namen also zurecht, denn heilendes Verzaubern war und ist wohl seit Anbeginn der Menschheit die Kraft und Kunst sowohl grosser als auch kleiner Hexen.
Damit ist aber auch schon der Punkt erreicht, an dem sich Heilkunst und wissenschaftliche Pflanzenanalyse in Kontradiktion begeben, denn heilende Kräfte und weibliche Heilkunst beruhen insbesondere auf "Verzauberung" und Mystizismus, während biosystematische Pflanzenbeschreibung eher die administrative und in Schubladen einordnende Entzauberung der mit Pflanzen verbundenen Mystik betreibt.
Die Heilkraft von Circaea lutetiana beruht nach allgemeiner Einschätzung wohl hauptsächlich auf Phantasien. Die zu den Nachtkerzengewächsen (Onagraceae) gestellte Pflanze ist keine eigentliche Medizinalpflanze, auch wenn Erwähnungen existieren, dass das Grosse Hexenkraut in der Volksheilkunde in der Wundbehandlung Verwendung findet und ihm schwach blutstillende (adstringierende) und harntreibende Wirkung zugeschrieben wird. Dabei wirksame Pflanzeninhaltsstoffe sind möglicherweise Gerbstoffe, Oxalate oder Oxalsäure, die ein "Zusammenziehen" der Hautoberfläche bei Verletzungen bewirken könnten. Auch in der Bachblüten-Therapie findet die Pflanze als Heilmittel Verwendung und wird dabei als "Konfliktlösend" beschrieben.
Weitaus stärkere und weitreichendere Wirkungen bewegen allerdings die Phantasien, die mit dem Pflanzen-Namen verbunden sind, wobei hier sowohl die historisch unaufgeklärte Uneindeutigkeit des Namensursprunges als auch wissenschaftshistorisch bedingte Namensverwechslungen die Träger des die Pflanze umrankenden Mystizismus sind, der ihr zweifellos auch heute noch phänomenale Zauberkräfte verleiht.
Zuerst zu den wissenschaftlichen Uneindeutigkeiten. Der heutzutage verwendete lateinische Gattungsname Circaea findet bereits bei Leonhart Fuchs Verwendung, der in seinem New Kreuterbuch im Jahre 1543 diese aus der griechischen Sprache stammende Bezeichnung synonym für die ALRAUNE (Mandragora officinalis) verwendet, eine berühmte Medizinal-, Zauber- und Hexenpflanze, die ebenso in griechisch als Anthropomorphos und im Lateinischen als Mandragora bzw. Canina bezeichnet ist und mit "Zeremonien des Teufels" in Verbindung gebracht wird, vor welchen sich "Buben zu hüten hätten".
Verwechslungspotential bietet bei Leonhart Fuchs allerdings die Nummerierung seines Katalogeintrages "Von Alraun" unter Registernummer Cap. CCI (201), was in seiner Abbildungskatalogisierung von Circaea unter Nr. 201 allerdings dann der ZEITLOSEN (Colchicum autumnale) entspricht, einer nicht minder gefürchteten, angeblichen Giftpflanze, die dem Safran-Lieferanten CROCUS stark ähnelt und auch heute noch Bekämpfungsbemühungen von Forstamtsmitarbeitern in Naturschutzgebieten auslöst.
Ein Teil der Mystik des Grossen Hexenkrautes mag somit durch die nomenklatorische bzw. katalogisierende Verknüpfung seines später (1753-1768) durch Carl von Linné zugeordneten, wissenschaftlichen Artnamens mit den Leonhart Fuchs bekannten Symbolpflanzen Alraune und Herbstzeitlose begründet sein.
Samenkapseln des Grossen Hexenkrautes tragen borstige Widerhaken (Klettfrüchte), was zur Ausbreitung der Pflanze beitragen soll.
An ihren Standorten vermehrt sie sich aber insbesondere durch Wurzelrhizome, deren unteridische Geflechte sich beständig ausdehnen.
Im gesamten europäischen Sprachraum ist den Trivialnamen von Circaea lutetiana eindeutig eine Bedeutung zugeordnet, welche die Pflanze in Verbindung mit Verzauberung, Magie und Hexen setzt :
Französisch : Herbe aux Sorcieres (Kraut der Hexen)
Englisch : Broad-leaved Enchanter´s Nightshade (Breitblättriger Nachtschatten der Verzauberer)
Spanisch : Hierba de los Encantos, Hierba de San Simon (Kraut der Verzauberungen, St. Simons Kraut)
Holland : Groot Heksenkruid (Grosses Hexenkraut)
Serbokroatisch : Vidmine Zilla Zvicayne (Gewöhnlicher Hexentrank)
Russisch : Koldúnitsa Parizhskaya (Pariser Zauberin)
Deutsch : Grosses Hexenkraut, Irrkraut, Walpurgiskraut, Waldklette, Stephanskraut
Dänisch : Dunet Steffensurt (Stephans-Bitter)
Rumänisch : Tiliscá
Der wissenschaftliche botanische Gattungs- und Artname der Pflanze in lateinischer Sprache Circaea lutetiana findet nun seine äquivalenteste Übersetzung im Russischen, wo das Grosse Hexenkraut "Die Zauberin aus Paris" genannt wird. Lutetiana leitet sich vom ursprünglichen Namen der Siedlung LUTETIA auf der Ile de la Cité im Fluss SEINE ab, auf welchem heute das historische Zentrum der französischen Hauptstadt PARIS erbaut ist. Der Name Circea erlaubt einen unverwechselbaren Bezug zur wohl berühmtesten Frauengestalt der europäischen Geschichte, der Zauberin Circe, die auf der beinahe kreisrunden Insel AIAIE im Mittelmeer lebt, zumindestens wenn man den Studien über die Geschichtsschreibung der griechischen Mythologie folgt, welcher - man mag es glauben oder nicht - massgeblicher Einfluss auf die auch heute noch gültigen Phantasien der modernen Europäer zugeschrieben wird.
Circe ist die Namensgeberin des deutschen Begriffes "Bezirzen", was gleichbedeutend mit der zumeist Frauen zugeordneten Fähigkeit ist, Menschen und Tiere verzaubernd und verführend in Bann zu nehmen, so dass sich diese dem Willen der Meisterin unterordnen. Circe verkörpert diese Fähigkeit zuerst durch ihren Kontakt mit der sie umgebenden Natur. Auf ihrer Insel Aiaie lebt sie in einem Walde umgeben von wilden und teilweise furchterregenden Tieren, die aber weder ihr gegenüber noch untereinander oder gegenüber Besuchern feindseelig auftreten.
Alleine auf einer mystischen Insel, geschützt von ihrem Wald und ihren Tieren und offen für wechselnde Besucher, mit welchen sie auch ihr Bett zu teilen verstand, nähert sich die Beschreibung von Circe´s Insel dem ersehnten Zustand des biblischen Paradieses, wobei Circe´s Lebensmodell verglichen mit dem biblischen Konzept sogar überlegen wirkt, denn es kommt gut ohne Ehemann Adam, die Hinterlistigkeit der verführenden Schlange und den den Ehebruch strafenden Gott aus. Damit dürfte die Existenz von Aiaie die Erklärung für die Entstehung der kontinentalen Schifffahrt und sämtlicher Mittelmeer-Exkursionen geworden sein, ähnlich wie bereits die Suche nach dem Paradies die Kreuzritter schon zu unglaublichen Strapazen motiviert hatte. Circe wird dabei zu einer Meisterin des "ANIME", des sinnlichen Lebens im harmonischen Einklang mit allen Wesen der Natur und ihrer Umgebung, wobei sie ihre Dominanz und Überlegenheit mit Hilfe ihrer Kenntnisse der Ethnobotanik bewahrt, während ihre männlichen Besucher waffenstarrend und in grösseren Gruppen den Landgang auf Aiaie antraten, wie zumindestens eine der detailliertesten mythologischen Beschreibungen ihrer Existenz in der "Odyssee" nahelegt.
Das Männer sich in sie verlieben und sie begehren, ist wohl im Charme und der erotischen Körperlichkeit der Zauberin Circe begründet. Die notwendige Distanz und den Respekt ihrer Verehrer stellt sie dabei durch die Verwendung von psychoaktiven Heilkräutern sicher, die sie in Tränke mischt, welche ihre Besucher bei der Begrüssung akzeptieren und zu sich nehmen müssen. Mittels dieser Zaubertränke und begleitender Magie gelingt es ihr, die Situationskontrolle und den notwendigen Abstand zu wahren, wobei der Kräutertrank die Männer metaphorisch "verwandelt". In historischen Beschreibungen werden diese dabei zu Tieren, wobei dieser Wandlungszustand allerdings reversibel bleibt. Künstlerische Interpretationen aus der religiösen Malerei plakatieren diese temporäre Metamorphose insofern, dass sie die verwandelten Männer als Schweineherde darstellen, während allerdings die historischen Beschreibungen dahin gehen, dass die Verzauberten "Schweinefutter zu sich nehmen und in Koben übernachten mussten".
Eine weitere historische Beschreibung der Circe erwähnt allerdings auch, dass Circe Zaubertränke mischte, um ihre eigenen Liebesinteressen durchzusetzen. So bat die Sagengestalt Glaukos sie darum, einen Zaubertrank zuzubereiten, der die von ihm angebetete Meerjungfrau Skylla in ihn verliebt machen würde. Da Circe aber selbst in diesen verliebt war, goss sie einen von ihr zubereiteten Trank in die Bucht, in welcher Skylla vermutlich in Gestalt einer Nixe lebte, so dass diese sich in ein Seefahrer-fressendes Meeresungeheuer verwandelte.
Künstlerische Darstellungen der Zaubertränke aus Kräutermischungen anwendenden Circe
Verwunderlich wäre, wenn nicht versucht worden wäre, die exakte Lage von Circes Insel Aiaie wissenschaftlich zu ergründen. Dies gelang vermutlich dann auch deshalb, weil Ortsangaben in der Odyssee eine Interpolation ihrer Koordinaten möglich machten. So liegt Aiaie beispielsweise "1 Tagesreise per Segelschiff vom Eingang in die Unterwelt Hades entfernt" während Skyllas Wirkungsort in der Strasse von Messina zwischen Sizilien und Italien liegen soll. Forscher kamen daher zu der Schlussfolgerung, dass Aiaie mit der Insel USTICA nördlich Palermo identisch sein müsste, was darauf hindeutet, dass der Zugang zur Unterwelt vermutlich über den Einstieg in einen aktiven Vulkan erfolgt. Damit könnten eigentlich nur die Vulkane Ätna auf Sizilien oder Stromboli auf den Aeolischen Inseln gemeint sein. Beide sind von USTICA etwa eine Tagesreise per Segelschiff entfernt.
Verbreitungsangaben zu Folge wächst das Grosse Hexenkraut Circaea lutetiana in ganz Europa mit Ausnahme Islands und Finnlands, im nördlichen Afrika und in Kleinasien - also auch in der gesamten, circummediterranen Region - und damit möglicherweise auch auf Aiaie bzw. Ustica. Desweiteren dehnt sich das Verbreitungsareal über das boreale Westasien und Sibirien bis zum Himalaya aus.
Es wäre allerdings zu kurz gefasst und zudem auch zu banal, aus der potentiellen Existenz der Pflanze auf der Insel Aiaie auch daraus zu schliessen, dass es sich beim Grossen Hexenkraut um die magische Zauberpflanze gehandelt haben könnte, die Circe in ihren Zaubertrank mischte, mit dessen Wirkung sie dann die Männer des Odysseus "in Schweine verwandelt habe", vorübergehend zumindestens.
Auch die eigenen Beobachtungen des CID Institutes im Botanischen Institutsgarten, dem ehemaligen Hausgarten der Instituts-Mäzenin Rosemarie Zanger, sind noch zu rudimentär, um schon Schlussfolgerungen über vermutete psychoaktive Wirkungen dieser Pflanze aus den wenigen bisher durchgeführten Studien abzuleiten. Im Herbst 2019 waren einige Wurzelrhizome vom ursprünglichen Wuchsort an der Hausnordseite entnommen und in den noch schattigeren und trockneren Hauseingangsgarten in unmittelbarer Nähe des Haustreppenaufganges umgepflanzt worden, wo sie auch Mitte Juli 2020 aufblühten und im September 2020 Früchte entwickelten. Von den beiden Standorten direkt vor und direkt nach dem Haustreppenaufgang ist in 2021 aber nur noch der ursprüngliche Wuchsort übrig geblieben.
Ob sich zwischen den beiden Wuchsplätzen, also im Bereich der Haustüre, Männer in Schweine verwandeln, bliebe allerdings noch wissenschaftlich zu überprüfen.
Dipl.. Biol. Peter Zanger
30. Juni 2021